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03. Juni 2015

Konzertreise

Freiburger Musiker spielen in Partnerstadt Tel Aviv

AUF TOUR: Die Camerata Academica und der Kantatenchor aus Freiburg als Botschafter in Sachen deutsch-israelischer Beziehungen.

  1. Bemerkenswerte Leichtigkeit: Auftritt vor Holocaust-Überlebenden in „Beth El“ Foto: Rudiger

  2. Kontrabass auf Odyssee Foto: Georg Rudiger

Der Kontrabass fehlt. Beim Einladen am Flughafen Basel war der große weiße, 28 Kilo schwere Instrumentenkasten noch ein begehrtes Fotoobjekt. Jetzt, in der Gepäckhalle am Ben Gurion Airport in Tel Aviv, warten die Orchestermitglieder der Camerata Academica Freiburg und einige Mitreisende des Freiburger Kantatenchors vergeblich auf das monströse Gepäckstück. Der Sabbat hat begonnen, deshalb sind die Verantwortlichen nicht zu erreichen. Die zehntägige Konzertreise mit dem "Stabat mater" von Antonín Dvorák, die im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und der Städtefreundschaft zwischen Freiburg und Tel Aviv stattfindet, beginnt mit einer Panne.

Schweren Herzens steigt Kontrabassist Stefan Krattenmacher, der den Bass selbst gebaut hat und in Israel verkaufen möchte, ohne sein Instrument in den Bus, der die Reisegruppe in den Norden des Landes bringt. Die meisten Orchestermitglieder sind bei israelischen Familien in Tivon und Umgebung untergebracht. Trotz der Verspätung empfangen die Gastgeber die deutschen Musiker herzlich. Ein Schalom, eine Umarmung – dann nehmen die Israelis die Gäste in ihren Autos mit in die laue Nacht.

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Im Herbst hatten die Freiburger Laienensembles das hochemotionale Chorwerk, das Dvorák nach dem Tod seiner drei Kinder komponierte, gemeinsam mit dem Choeur Schütz aus Freiburgs Partnerstadt Besançon und einigen israelischen Sängerinnen und Sängern unter der Leitung von Wolfgang Failer bereits in drei Konzerten in Freiburg, Kirchhofen und Besançon aufgeführt. Nun wird Yael Wagner-Avital, die Dirigentin des Tivon Israel Chamber Choir Aufführungen leiten. Die beiden Chorleiter kennen sich, seit sie in den 1980er Jahren gemeinsam in der Gächinger Kantorei gesungen haben. Yaels Vater Ephraim, der im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert war und sich danach sehr für die Versöhnung einsetzte, hatte Failer zuvor auf einer Konzertreise in Israel kennengelernt. "Dass ich bei Helmuth Rilling Chordirigieren studieren konnte, war für meinen Vater ein echter, später Triumph über die Nazis", sagt Yael Wagner-Avital lächelnd.

Die Last der Vergangenheit ist beim Probentag im "Pionkowsky Conservatory and Art Centre" in Tivon nicht zu spüren. Yael Wagner-Avital sitzt auf einem Hocker vor dem 45-köpfigen Orchester und dem 120-köpfigen deutsch-israelisch-französischen Chor und führt mit klarer Zeichengebung und trockenem Humor durch das gewaltige Werk. Auch das gut gelaunte Solistenensemble ist mit den Deutschen Philipp Nicklaus (Tenor), Peter Schüler (Bariton), Marion Eckstein (Alt) und der israelischen Sopranistin Yasmine Levi-Ellentuck gemischt. In der Mittagspause kommt man sich bei Falafel, Hummus, gefüllten Weinblättern und frischem Pfefferminztee näher. Bratschistin Katharina Diener stellt ihren Gastgeber Zvi vor, der im Kibbuz Yagur lebt. Bewegt berichtet der drahtige 75-Jährige von den guten Schulen und der tollen Nachbarschaftshilfe in seinem Kibbuz. "Das Leben läuft langsamer ab. Ich habe Zeit zum Lesen und für die Musik – das ist mir wichtig."

Schon am nächsten Tag ist das erste Konzert in der ausverkauften Rappaport Hall in Haifa, hoch auf dem Berg Karmel. Nach dem leisen Amen-Schluss, in den das "Stabat mater" nach dem ekstatischen "In Paradisum" zurückfällt, hält die Dirigentin noch sekundenlang die Spannung, ehe stürmischer Beifall aufbrandet.

"Solch eine starke Publikumsreaktion habe ich in Haifa noch nie erlebt. Selbst bei Konzerten mit Zubin Mehta nicht", berichtet die Dirigentin am nächsten Tag sichtlich berührt. Und warnt gleichzeitig mit Blick auf die kommenden Konzerte in Ma’alot und Tel Aviv, nicht in den Freizeitmodus zu verfallen. Zunächst ist aber noch mit einem Kammerkonzert in "Beth El" in Shavei Zion eine andere Begegnung geplant. Das vom in Bad Liebenzell ansässigen Verein "Zedakah" getragene Gästehaus ermöglicht hier Holocaust-Überlebenden aus der ganzen Welt, kostenlos Ferien am Mittelmeer zu machen. Die Heimleitung hat das Konzert in den Garten verlegt. Eine bemerkenswerte Leichtigkeit liegt über allem. Als der Kantatenchor das jüdische Lied "Donna Donna" singt, huscht ein Lächeln über manches Gesicht. Das immer schneller werdende "Hevenu shalom alechem" der Blechbläser wird mitgeklatscht und -gesungen. Sie habe das Konzert sehr genossen, sagt die 75-jährige Galina und spricht von Erinnerungen. Gute oder schlechte? "Was vergangen ist, ist vergangen. Die Musik steht über allem", sagt die Dame.

Auch beim Empfang der Stadt Tel Aviv im Neve Golan Community Centre sind Holocaustüberlebende aus der Nachbarschaft eingeladen. Es ist mit 44 Grad der heißeste Tag seit Jahren in Israel. Auch hier wird bei "Hevenu shalom alechem" mitgeklatscht und Eliav Blizowsky, Leiter des Büros für Internationale Beziehungen Tel Avivs, schnappt sich das Mikrofon: "Bringen Sie Frieden für uns." Und empfiehlt im persönlichen Gespräch danach, in Tel Aviv nicht zu schlafen, sondern zu feiern. Sie würden das mit Kameras kontrollieren, bemerkt er augenzwinkernd.

"Bringen Sie

Frieden für uns"

Am Abend dann das wichtigste Konzert. Die Kritiker sind eingeladen. Mit der Rolltreppe geht es hinunter in die Assia Hall des Tel Aviv Museum of Art im Zentrum der Stadt. Zur Einspielprobe kommt Stefan unter großem Jubel mit seinem weißen Kasten um die Ecke. Nach fünf Tagen wurde der Kontrabass endlich vom Zwischenstopp in Istanbul nachgeschickt. Auch das letzte Konzert wird mit rhythmischem Klatschen aufgenommen. Der Abschied von den israelischen Gastgebern fällt schwer. Die Choristen steigen in den Bus nach Jerusalem. Und die Orchestermitglieder, die noch drei Tage in Tel Aviv bleiben, folgen der Empfehlung des Tourismuschefs – und feiern die Nacht auf dem Hoteldach.
– Der Autor ist Cellist in der Camerata Academica Freiburg und hat die Reise mitorganisiert.

Autor: Georg Rudiger


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